Neulich habe ich einen Tweet abgesetzt, in dem es um Abschiebungen in den Iran ging:
„Draußen demonstrieren Menschen, um ihre Solidarität mit den Menschen im Iran zu bekunden, drinnen sitze ich und schreibe eine Stellungnahme an ein Gericht, um zu erklären, warum eine Frau nicht in den Iran abgeschoben werden soll“
Der Tweet war mit über 3.000 „Likes“ (3 x Platin, wie man bei Twitter so sagt), einer meiner erfolgreichsten überhaupt und löste viele Reaktionen aus. Ein*e User*in hat geantwortet:
Habe 20 Jahre in einer Ausländerbehörde gearbeitet.Nie wurden Iraner abgeschoben.Iran akzeptiert nur freiwillige Rückkehrer.
Darauf wiederum verlinkt jemand diesen Beitrag des WDR. Der Clou ist, dass diese scheinbar widersprüchlichen Aussagen alle irgendwie zumindest aus einem bestimmten Blickwinkel richtig sind. Um das zu verstehen, muss ich allerdings ein wenig ausholen. Das hier wird also ein längerer Erklärbärartikel.
Iraner*innen im Asylverfahren
Iran gilt nicht als „sicheres Herkunftsland“. Iran gehört aber auch nicht zu den Ländern mit einer besonders hohen Schotzquote, wie Syrien. Afghanistan seit der erneuten Machtübernahme durch die Talban oder – allerdings schon mit erheblichen Einschränkungen, die aber hier nicht das Thema sind – Eritrea. Die offizielle Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge „Das Bundesamt in Zahlen 2021“ (Seite 57) weist für Iraner*innen eine Schutzquote von grob über den Daumen gepeilt 25 % aus, mit anderen Worten, rund 3/4 aller Asylanträge iranischer Staatsangehöriger werden abgelehnt. Zwar lässt sich an dieser Statistik eines aussetzen, weil dort beispielsweise auch Ablehnungen im Dublin-Verfahren enthalten sind, in denen das Asylbegehren gar nicht wirklich inhaltlich geprüft wird, aber das soll uns an dieser Stelle nicht weiter stören; fest steht jedenfalls, dass deutlich mehr als die Hälfte der Anträge abgelehnt werden.
Wenn Iraner*innen also in Deutschland einen Asylantrag stellen wollen, so müssen sie die Schikanen des deutschen Asylsystems über sich ergehen lassen, was insbesondere bedeutet, dass sie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bzw. das zuständige Verwaltungsgericht davon überzeugen müssen, dass ihnen persönlich im Iran eine Verfolgung droht. Es würde jetzt zu weit führen, zu diskutieren, welche Schutzstatus es gibt, und an welche Voraussetzungen sie geknüpft sind, daher an dieser Stelle nur ein paar Worte zu Fallkonstellationen, die im Zusammenhang mit iranischen Geflüchteten besonders oft auftreten. Freilich könnte man zu jeder einzelnen dieser Konstellationen noch sehr viel mehr sagen, ich beschränke mich daher jeweils auf ein paar Kernpunkte, die sich in meiner Praxis als besonders relevant erwiesen haben.
Konversion
Besonders häufig, sicher in deutlich als mehr als der Hälfte der Fälle geht es um Konversion. Wenn im Zusammenhang mit Asylverfahren von Konversion die Rede ist, ist damit ein Wechsel der Religion gemeint. Das Argument funktioniert im Wesentlichen so: Ich bin vom Islam abgefallen (Apostasie), das ist nach der im Iran bestehenden Auslegung eine schwere Straftat, die schlimmstensfalls mit dem Tode bestraft wird, und deswegen droht mir politische Verfolgung wegen meiner Religion.
Dass das im Prinzip eine valide Argumentation ist, ist im Kern unstrittig. Zum Teil wird bestritten, dass tatsächlich die Todesstrafe drohe. Aber auch, wenn man annimmt, dass faktisch „nur“ eine lange Haftstrafe drohe, wäre das schon schlimm genug, um von politischer Verfolgung auszugehen, so dass es darauf letztlich nicht ankommt.
Das Argument setzt beim Abfall vom Islam an. Daraus folgt zunächst, dass sich mit Erfolg nur darauf berufen kann, wer überhaupt vom iranischen Staat als muslimisch angesehen wird. Angehörige der armenischen Minderheit etwa, die ohnehin mehrheitlich christlich ist, werden sich in der Regel nicht mit Erfolg auf dieses Argument berufen können.
Es ist zudem im Prinzip egal, wohin sich die Leute stattdessen zuwenden. Ob sie Atheist*in sind oder sich einer anderen Religion zuwenden, ist im Grunde zweitrangig. Erfahrungsgemäß wird allerdings sehr oft (nicht immer!) eine christliche Religion gewählt, und da wiederum besonders häufig evangelische Freikirchen.
Wenn nun eine bestimmte Gruppe von Geflüchteten ähnliche Geschichten zur Begründung ihres Asylbegehrens vorträgt, löst das regelmäßig den Argwohn der Entscheider*innen des BAMF under Richter*innen an den Verwaltungsgerichten (VGen) aus. Es entsteht schnell der Eindruck, dass in der entsprechenden Community herumerzählt werde, dass man nur eine bestimmte Geschichte erzählen müsse, um in Deutschland Asyl zu bekommen. Da insbesondere konservativere Richter*innen es als ihre Aufgabe ansehen, eine vermeintlich missbräuchliche Inanspruchnahme des Flüchtlingsrechts zu unterbinden, fühlt man sich daher dazu berufen, ausgiebig zu prüfen, wer es denn tatsächlich ernst nimmt mit dem Abfall vom Islam bzw. der Hinwendung zum neuen Glauben. Das Ergebnis sind mehrstündige Befragungen in den mündlichen Verhandlungen, die wir in unserem Büro als „Religionsexamen“ zu bezeichnen pflegen. Es wird ausgiebig nach Taufsprüchen gefragt, Unterschieden zwischen Konfessionen, warum man sich gerade die für diese Konfession entschieden habe und nicht für eine andere. Eine nach meiner persönlichen Erfahrung besonders häufig gestellte Fragen habe ich in meinem aufenthaltswiki gesammelt.
Wichtig dabei ist, dass es nicht nur darauf ankommt, was man sagt. Es geht um Glaubensfragen, „richtig“ und „falsch“ gibt es dabei kaum. Es kommt vor allem auch darauf an, wie man es sagt, und ob es klingt, wie etwas, was man wirklich ernst meint, oder ob man sich anhört, wie jemand, die*der ein Konfirmationsbuch auswendig gelernt hat, ohne irgendeinen persönlichen Bezug zu dessen Inhalt entwickelt zu haben. Das bleibt freilich letztlich sehr subjektiv: Ein und dasselbe Vorbringen kann bei der einen Richterin erfolgreich sein und von dem anderen Richter verworfen werden.
Unterlagen von den Gemeinden selbst, wie Bescheinigungen von Pfarrer*innen und Taufurkunden, können wichtig sein zur Unterstützung, reichen alleine für eine Anerkennung jedoch nicht aus. Dasselbe gilt für zeugenschaftliche Aussagen von Pastor*innen oder anderen Menschen aus der Gemeinde in der Verhandlung.
Manche Richter*innen wenden dabei so hohe Maßstäbe an, dass eine Anerkennung faktisch kaum noch möglich ist, ein Umstand, der bei Kirchenvertreter*innen für erhebliche Verstimmung sorgt. Man hat dort kein Verständnis dafür, dass geschätzten Mitgliedern ihrer Gemeinde von der weltlichen Gerichtsbarkeit bescheinigt wird, es mit dem Christentum gar nicht ernst zu meinen, und sich nur „aus asyltatksichen Gründen“ für ihren Glauben zu interessieren.
Exilpolitische Betätigung
Ein weiteres, häufig vorgetragenes Argument, ist exilpolitische Betätigung. Das bedeutet, dass man etwa in Deutschland politisch gegen das iranische Regime aktiv ist. Das passiert klassisch etwa durch die Teilnahme an Demonstrationen oder etwa heutzutage gerne auch online, in den sog. sozialen Medien. Weil bekannt ist, dass der iranische Geheimdienst die Exilopposition beobachtet, droht ggf. im Iran im Falle einer gedachten Rückkehr dorthin politische Verfolgung. Hier habe ich über einen solchen Fall berichtet, und dort kann man auch etwas über die Maßstäbe lesen, die in einem solchen Fall angewendet werden.
Demnach soll eine nur „untergeordnete“ Betätigung nicht ausreichen. Plakativ ausgedrückt: Wer also oben auf dem Podest mit dem Megaphon zum Sturz des Regimes ausruft, hat gute Chancen auf eine Flüchtlingsanerkennung, wer nur hinten in der Demo steht, und zuhört, eher nicht.
In diesem Zusammenhang spielt ein Gedanke eine Rolle, der auch in der Rechtsprechung zu Syrien schon eine große Rollte gespielt hat, nämlich eine Rationalisierung des Regimes. Man unterstellt dem Regime, rational zu handeln, was bedeuten soll, dass sich das Regime darüber im Klaren sein soll, dass gar nicht alle Menschen, die an so einer Demonstration teilnehmen, wirklich etwas gegen das Regime haben, sondern dass sie das hauptsächlich tun, um ihre Chancen im Asylverfahren zu steigern, und nimmt dann eben auch an, dass das Regime die Leute im Falle einer gedachten Rückkehr entsprechend unterschiedlich behandeln würde. Für eine solche Annahme dürfte es freilich kaum jemals einen empirisch belastbaren Beleg geben, tatsächlich dürfte es eher von der Fähigkeit und Bereitschaft, Schmiergelder zu zahlen, abhängen, wer mit welcher Behandlung zu rechnen hat.
LGBTQIA*
Eine weitere, relevante Personengruppe sind Personen aus dem LGBTQIA*-Spektrum. Hierzu muss man zunächst wissen, dass die Rechtslage im Iran selbst einigermaßen paradox ist: Während homosexuelle Handlungen unstrittig hart bestraft werden, schlimmstenfalls wiederum mit dem Tode (Bilder von an Baukränen hängenden Männern dürften hinlänglich bekannt sein), werden trans Personen staatlicherseits in gewissen, engen Grenzen toleriert. Der Iran ist daher ein Land mit einer hohen Quote geschlechtsangleichender (soweit der Begriff hier denn überhaupt zutrifft) Operationen, denn häufig entscheiden sich homosexuelle Paare dafür, dass eine*r der beiden Partner*innen sich einer Transition unterzieht, obwohl sie*er sich gar nicht wirklich als trans versteht, dies aber die einzige Möglichkeit ist, sich zu lieben, ohne sich der Gefahr staatlicher Verfolgung auszusetzen.
Homosexuelle Personen haben daher gute Chancen auf eine Flüchtlingsanerkennung, über entsprechende Fälle habe ich hier und hier berichtet. Trans Personen hingegen haben es ungleich schwerer. Das führt zu Konstellationen, in der homosexuelle cis Personen sich, wie oben beschrieben, als heterosexuelle trans Personen gelesen werden, und dann also mit einer Ablehnung ihres Asylantrages konfrontiert werden.
(Psychische) Erkrankungen
Häufig auch werden Atteste über Erkrankungen, insbesondere psychische Erkrankungen (z.B. Depression, PTBS) vorgelegt. In diesen Fällen geht es nicht unbedingt um eine Anerkennung als politischer Flüchtling, die Vorlage entsprechender Atteste zielt eher auf die Feststellung eines sog. Abschiebungsverbots (§ 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG) ab.
Leider funktioniert auch dies erfahrungsgemäß im Falle iranischer Staatsangehöriger nur selten. Nach der Lesart der zuständigen Behörden und Gerichte soll es nämlich im Prinzip ein funktionierendes Gesundheitssystem im Iran geben, sodass zumindest die unbedingt erforderliche Behandlung auch dort möglich sein soll.
Gleichwohl, im Einzelfall kann das durchaus funktionieren, etwa, wenn noch die Gefahr einer Retraumatisierung hinzutritt, wenn man also plausibel machen kann, dass sich die Gesundheit der*des Betroffenen schlagartig verschlechtern würde, wenn sie*er wieder mit den die Traumatisierung auslösenden Gegebenheiten des Herkunftslandes konfrontiert würde.
Zwischenfazit
Als geflüchtete Person aus dem Iran im Asylverfahren einen Schutzstatus zugesprochen zu bekommen, ist gar nicht so einfach, und statistisch gesehen stehen die Chancen dafür nicht besonders gut. Freilich kann sich dies ändern, je nachdem, wie sich die Lage im Iran weiter entwickelt, wird dies freilich zu einer Neubewertung der Lage führen müssen, die sich dann auch auf die Entscheidungspraxis auswirken muss. Bis jetzt jedoch haben wir es mit tausenden Geflüchteten aus dem Iran zu tun, deren Asylanträge abgelehnt worden sind. Wie geht es mit denen weiter?
Das Verfahren bei der Ausländerbehörde
Wenn das Asylverfahren abgeschlossen ist, ist die Sache für das BAMF erledigt. Federführend zuständig ist jetzt die Ausländerbehörde (ABH).
Schrödingers Abschiebungsandrohung
Ich hasse diese ausgelutschten Schrödingerwitze, aber diesen hier konnte ich mir einfach nicht verkneifen.
Wenn das BAMF einen Asylantrag ablehnt, droht es den Betroffenen in den meisten Fällen eine Abschiebung in ihr Herkunftsland an. Diese sog. Abschiebungsandrohung wird recht apodiktisch formuliert: „Wenn sie/er nicht freiwillig ausreist, wird sie/er abgeschoben.“ Trotzdem passiert gerade in Fällen von iranischen Staatsangehörigen häufig weder das eine, noch das andere. Die meisten von ihnen bleiben einfach hier. Wie kann das sein?
„Dulden heißt beleidigen“ (Goethe)
Wenn Menschen sich zwar einerseits nicht (mehr) rechtmäßig in Deutschland aufhalten, zum Beispiel, weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde, andererseits aber auch nicht abgeschoben werden können, ist ihre Abschiebung auszusetzen, § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Dieser Zustand heißt Duldung. Die meisten Geflüchteten aus dem Iran rutschen also nach Abschluss ihres Verfahrens in die Duldung.
Da es mit dem Iran kein Rückübernahmeabkommen gibt, welches die Modalitäten von Abschiebungen in den Iran regelt, und der Iran (wie viele andere Länder auch) auch sonst wenig Interesse daran hat, seine Staatsangehörigen zurück zu nehmen, sind Abschiebungen in den Iran aus Sicht der Behörden schwierig durchzuführen. Insbesondere verlangt der Iran regelmäßig, dass ein gültiger iranischer Pass vorliegen muss. Heißt, solange die Leute selbst, aus welchem Grunde auch immer, keinen Pass vorlegen, bleibt es regelmäßig dabei, dass die Leute geduldet werden.
Mitwirkungspflichten
Für die Behörden ist dies ein Ärgernis, denn einerseits sollen sie die Leute abschieben, andererseits können sie es faktisch nicht. ABHen verlangen daher von den Betroffenen, Pässe vorzulegen. Tun sie es nicht, müssen sie mit Sanktionen rechnen.
Zwar ist es iranischen Staatsangehörigen, die keine Pässe besitzen, im Prinzip möglich, neue Pässe bei der iranischen Auslandsvertretung zu beschaffen, das Konsulat verlangt jedoch, dass dafür eine bestimmte Erklärung abgegeben wird. Der exakte Inhalt dieser Erklärung ist mir leider nicht bekannt, falls dazu jemand belastbare Informationen hat, freue ich mich jederzeit über Hinweise. Es geht aber jedenfalls im Prinzip in die Richtung, dass man es bereue, in Deutschland einen Asylantrag gestellt zu haben, und freiwillig in den Iran zurück zu kehren bereit sei.
Das Problem ist nun: Beides ist in den meisten Fällen schlicht eine Lüge. Dies führt zu der Frage: Darf die Rechtsordnung von Menschen verlangen, zu lügen?
Höchstrichterlicher Bullshit
Zu dieser Frage hat sich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinem Urteil vom 10.11.2009, 1 C 19.08, Rn. 19, geäußert:
Entgegen der Auffassung der Kläger war und ist es ihnen zuzumuten, der (wiederholten) Aufforderung der Beklagten nachzukommen und die „Freiwilligkeitserklärung“ auf dem von der iranischen Auslandsvertretung vorgesehenen Antragsformular zu unterschreiben. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass sie vollziehbar ausreisepflichtig sind. Die gesetzliche Pflicht zur Ausreise bedeutet, dass sie freiwillig ausreisen oder sich zwangsweise abschieben lassen müssen. Das Aufenthaltsrecht erlegt dem Ausländer primär auf, dass er seiner Ausreisepflicht freiwillig – und unverzüglich – nachkommt (§ 50 Abs. 2 AufenthG). Eine zwangsweise Abschiebung kommt erst in Betracht, wenn der Ausländer seine Ausreisepflicht nicht freiwillig erfüllt bzw. die Überwachung der Ausreise erforderlich ist (§ 58 Abs. 1 und 3 AufenthG). Ein ausreisepflichtiger Ausländer ist daher aufenthaltsrechtlich gehalten, das Land freiwillig zu verlassen. Die Rechtsordnung mutet dem Ausländer zu, seiner Ausreisepflicht von sich aus nachzukommen. Die gesetzliche Ausreisepflicht schließt die Obliegenheit für den Ausländer ein, sich auf seine Ausreise einzustellen, zur Ausreise bereit zu sein und einen dahingehenden Willen zu bilden. In diesem Rahmen ist es für einen ausreisepflichtigen Ausländer rechtlich grundsätzlich nicht unzumutbar, zur Ausreise nicht nur willens und bereit zu sein, sondern diese Bereitschaft auch zu bekunden und eine „Freiwilligkeitserklärung“ in der hier gegebenen Form abzugeben. Ein entgegenstehender innerer Wille des Ausländers, der die Erklärung mangels Bildung eines entsprechenden Willens als unwahr empfindet, ist aufenthaltsrechtlich regelmäßig unbeachtlich.
Man muss also gar nicht lügen, weil man ja verpflichtet ist, einen bestimmten Willen zu bilden. Die Entscheidung zeigt wie wahrscheinlich kaum eine andere, dass auch das BVerwG nicht davor zurückschreckt, hanebüchenen Unfug zu verzapfen, wenn es dies für erforderlich hält, um das gewünschte Ergebnis zu begründen. Dass man dazu verpflichtet sein soll, einen bestimmten Willen zu bilden, dürfte unserer Rechtsordnung sonst jedenfalls aus guten Gründen eine eher fremde Vorstellung sein.
Freilich werden Menschen häufig zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen gezwungen, dass ggf. im Widerspruch zu ihrem Willen steht, aber der Wille eines Menschen also solcher entzieht sich staatlicher Reglementierung.
Das Bundessozialgericht (BSG) vertritt daher in seinem Urteil vom 30.10.2013, B 7 AY 7/12 R, zutreffend eine dezidiert andere Auffassung und spricht von einem „totalitären Staatsverständnis“ (Hervorhebung durch mich):
Auch die Weigerung, die „Ehrenerklärung“ zu unterschreiben, erfüllt nicht die Voraussetzungen des
§ 1a Nr 2 AsylbLG. Nach § 49 Abs 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) aF (vgl jetzt
§ 49 Abs 2 AufenthG) war und ist zwar jeder Ausländer verpflichtet, ua die von der Vertretung des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, geforderten Erklärungen im Rahmen der Beschaffung von Heimreisedokumenten abzugeben. Diese gesetzliche Mitwirkungspflicht steht jedoch unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass die geforderte Erklärung mit dem deutschen Recht in Einklang steht. Dies war vorliegend nicht der Fall, weil von der Klägerin ein Verhalten verlangt worden ist, das die Intimsphäre als unantastbaren Kernbereich des Persönlichkeitsrechts des Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG berührt (vgl zur Unantastbarkeit eines Kernbereichs: BVerfGE 34, 238, 245; 54, 143, 146; 103, 21, 31).Freiwilligkeit kann sowohl nach dem allgemeinen Wortverständnis als auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles (s zur Zulässigkeit der Auslegung von Formularerklärungen durch das Revisionsgericht nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 162 RdNr 3b) nur bedeuten, dass die Klägerin erklären sollte, sie kehre aus freien Stücken nach Mali zurück. Diese Erklärung kann indes von niemandem verlangt werden, der den entsprechenden Willen nicht besitzt; ansonsten wäre er zum Lügen gezwungen. Der Begriff der Freiwilligkeit entzieht sich weiteren Überlegungen (umfassend dazu Kreienbrink, Freiwillige und zwangsweise Rückkehr von Drittstaatsangehörigen aus Deutschland, in Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Rückkehr aus Deutschland, Forschungsstudie 2006, S 44 ff): Gefordert war von der Klägerin eine Erklärung, etwas zu wollen, was sie gerade nicht wollte.
Ein gegenteiliger Wille kann von ihr auch nicht verlangt werden; der Wille als solcher ist staatlich nicht beeinflussbar. Eine andere Frage ist, ob von dem Betroffenen trotz eines entgegenstehenden Willens bestimmte Handlungen abverlangt werden können. Der Zwang, dies auch zu wollen, entspräche einem dem GG fremden totalitären Staatsverständnis. Für eine andere Auslegung der von der Klägerin abverlangten Erklärungen, etwa in dem Sinne „ich bin vollziehbar ausreisepflichtig und kann deshalb abgeschoben werden, wenn ich nicht ohne Zwang ausreise“, bestehen keine Anhaltspunkte (so in einem anderen Kontext BVerwGE 135, 219 ff). Kann mithin die Leistungsbeschränkung nach § 1a AsylbLG nicht auf die Weigerung zur Abgabe der „Ehrenerklärung“ gestützt werden, so sind jedenfalls nach Aktenlage keine weiteren Gesichtspunkte für eine Leistungsminderung nach § 1a AsylbLG erkennbar; das LSG mag dies ggf noch prüfen.
Arbeitsverbote
Wenn sich Menschen weigern, einen Pass vorzulegen, obwohl ihnen dies nach der Rechtsprechung des BVerwG in zumutbarer Weise möglich sein soll, drohen ihnen Sanktionen. Die häufigste Sanktion sind Arbeitsverbote, vgl. § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Weil die Abschiebung aufgrund der angeblich zumutbaren, verweigerten Mitwirkung unmöglich sei. Damit scheidet ggf. zugleich auch die Erteilung einer Ausbildungsduldung aus (vgl. § 60c Abs. 2 Nr. 1 AufenthG).
Dies führt dazu, dass wir es uns in Deutschland leisten, einer großen Anzahl junger Menschen mit durchaus vorhandener formalen Bildung – denn es gibt es funktionierendes Schulsystem im Iran, was Englisch, Mathe, etc. angeht, brauchen die Menschen von dort sich keineswegs hinter gleichaltrigen Deutschen zu verstecken – die willens und in der Lage sind, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die aber stattdessen von den Behörden dazu gezwungen werden, stattdessen arbeitslos zu bleiben und Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen.
Sie sind Opfer der Ideologie der sogenannten „Pull-Effekte“: In der Boomergeneration und den von dieser Generation dominieren Gerichten ist es eine weit verbreitete Schreckensvorstellung, dass, wenn man Leuten erlauben würde, in Deutschland zu arbeite und so ein Bleiberecht zu erlangen, ohne dass sie zuvor vom Ausland aus ein Visumverfahren durchlaufen haben und mit einem passenden Visum zur Erwerbstätigkeit eingereist zu sein, demnächst noch mehr Menschen nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten.
Ob eine solche Ideologie in Zeiten allgemeinen Fachkräftemangels, in denen Inhaber*innen von Handwerksbetrieben fürchten, ihre Betriebe schließen zu müssen, weil sie keine Nachfolger*innen mehr finden, die die Betriebe übernehmen werden, noch zeitgemäß ist, sei einmal dahingestellt.
„Duldung light“, § 60b AufenthG
Die letzte große Koalition hat diesen Ansatz noch einmal auf die Spitze geschrieben durch die Einführung der „Duldung light“, § 60b AufenthG. Das Gesetz selbst spricht freilich nicht von „Duldung light“, sondern von „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“. Diese Überschrift ist jedoch irreführend, denn eine „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ wird auch an Personen erteilt, deren Identität geklärt ist.
Tatsächlich sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung light zum Teil deutlich auf iranische Staatsangehörige zugeschnitten:
(3) 1Im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 ist dem Ausländer regelmäßig zumutbar,
[…]
3. eine Erklärung gegenüber den Behörden des Herkunftsstaates, aus dem Bundesgebiet freiwillig im Rahmen seiner rechtlichen Verpflichtung nach dem deutschen Recht auszureisen, abzugeben, sofern hiervon die Ausstellung des Reisedokumentes abhängig gemacht wird,§ 60 Abs. 3 Satz Nr. 3 AufenthG
Wenn nun aber bspw. eine Person ein Shenasnameh abgibt, an dessen Echtheit auch keine Zweifel bestehen, so ist ihre Identität ja geklärt, denn sie ergibt sich ja aus dem Shenasnameh. Wird aber nicht auch ein Pass vorgelegt, muss, je nach ABH, trotzdem mit der Erteilung einer „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ gerechnet werden.
Auch die Duldung light geht mit einem Arbeitsverbot einher, § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG. Da das Arbeitsverbot in diesen Fällen allerdings regelmäßig auch aus § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG folgen dürfte, macht dies praktisch keinen großen Unterschied zu einer „normalen Duldung“ gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus.
Die gravierendere Konsequenz ist die Nichtanrechnung der Zeit in der Duldung light als Vorduldungszeit, § 60b Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Das AufenthG kennt Bestimmungen, die Menschen, die eine bestimmte Zeit geduldet in Deutschland gelebt haben, unter bestimmten Bedinungen eine Legalisierung ihres Aufenthalts, also einen Wechsel in eine Aufenthaltserlaubnis ermöglichen (sog. Bleiberecht).
§ 25b AufenthG sieht eine solche Möglichkeit etwa für alleinstehende, erwachsene Menschen nach acht Jahren vor. Wenn ich aber nach zwei Jahren „normaler Duldung“ in eine Duldung light rutsche, so werden nur die ersten zwei Jahre anrechnet, die folgende Zeit nicht mehr. Ich hätte dann also auch nach zwanzig Jahren Duldung die geforderten acht Jahre Duldung immer noch nicht beisammen.
Leistungskürzungen
Eine ebenfalls häufig anzutreffende Sanktion sind Leistungskürzungen, § 1a Abs. 1 AsylbLG. Da aber, wie ausgeführt, die Sozialgerichtsbarkeit den Unsinn der Verwaltungsgerichte zur Frage der Mitwirkungspflichten nicht mitmacht, sollten Betroffene entsprechende Entscheidungen nicht unwidersprochen hinnehmen, und sich unbedingt um eine qualifizierte Beratung bzw. Vertretung bemühen. Rechtsmittel werden hier häufig gute Erfolgsaussichten besitzen.
Weitere Sanktionen
Auch sonst zeigen ABHen sich im Umgang mit iranischen Staatsangehörigen gerne von ihrer kreativen Seite. Das Repertoire umfasst Ausweisungsverfahren oder Anzeigen wegen angeblicher Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten.
Aussicht
Tatsächlich stehen im Koalitionsvertrag der „Ampel“ einige Dinge drin, die gerade auch iranischen Staatsangehörigen helfen könnten. Leider ist bis jetzt aber nichts davon umgesetzt worden. Angekündigt worden ist etwa die Abschaffung von Arbeitsverboten. Auch die „Duldung light“ soll wieder abgeschafft werden, diese Ankündigung ist allerdings mit der Einschränkung versehen, dass eine Regelung über die Nichtanrechnung von Duldungszeiten im Falle der Verletzung aufenthaltsrechtlicher Mitwirkungspflichten erhalten bleiben soll. Da dies aber ja, wie ausgeführt, nach meiner Auffassung zugleich auch das größte Problem an der Duldung light ist, ist bis jetzt noch offen, ob die Abschaffung der Duldung light überhaupt einen praktischen Nutzen bringen wird. Dies wird vielmehr von der konkreten Umsetzung abhängen.
Immerhin ein Gesetzesentwurf ist mittlerweile im Gesetzgebungsverfahren. Dieser betrifft die Einführung eines sog. „Chancen-Aufenthaltsrechts“ (ChAR) und die Ausweitung der Bleiberechtsregelungen der §§ 25a, b AufenthG. Alles drei ist irgendwie zu begrüßen und ein Schritt in die richtige Richtung, die als solche sicher auch manchen Menschen aus dem Iran zu einem Bleiberecht verhelfen werden.
Gleichzeitig greifen sie jedoch auch zu kurz, als dass man hier jetzt schon von einem Paradigmenwechsel sprechen könnte. So werden die §§ 25a, b AufenthG auch weiterhin eine bestimmte Vorduldungszeit voraussetzen. Diese wird zwar verkürzt, aber was hilft mir das, wenn ich mir meinen Zeit in der Duldung gar nicht anrechnen lassen kann, weil ich eine Duldung light besitze?
Die Idee beim ChAR ist, dass Menschen, sie sich zum Stichtag 01.01.2022 seit fünf Jahren in Deutschland befinden, zunächst eine auf Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis bekommen sollen. Erfreulicherweise werden Zeiten in der Duldung light dabei entgegen allgemeinen Regelung des § 60b Abs. 5 Satz 1 AufenthG mit angerechnet. Dann hat man ein Jahr Zeit, einen Pass und eine Arbeitsstelle zu beschaffen. Wer das schafft, wird hinterher mit einer längerfristig gültigen Aufenthaltserlaubnis belohnt, alle anderen rutschen hinterher wieder in die Duldung. Da ich bei meinen iranischen Mandant*innen, wie ausgeführt, davon ausgehe, dass die Integration in den Arbeitsmarkt bei den allermeisten von ihnen kein Problem sein wird, glaube ich tatsächlich, dass das für diejenigen, die tatsächlich schon so lange in Deutschland sind, sehr wahrscheinlich eine echte Chance sein wird, um aus der Duldung heraus und in einen legalen Aufenthalt hineinzukommen. Eine der größten Einschränkungen des ChAR ist aber eben freilich die Stichtagsregelung, die letztlich dazu führen wird, dass nur diejenigen Menschen von ihr profitieren werden, die seit 2016 in Deutschland sind, und die auch nicht alle. Wer also erst im Laufe der 2017, 2018 oder noch später nach Deutschland gekommen ist, hat von vorneherein keine Chance auf ein ChaR. Von einer Abschaffung der Kettenduldung kann also keine Rede sein.
An dieser Stelle ein notwendiger Disclaimer: Mir geht es hier nur darum, die Idee hinter dem ChAR grob zu skizzieren. Die Voraussetzungen im Einzelnen sind erheblich komplexer. Wenn ihr also wissen wollt, ob ihr vom ChAR profitieren könntet, dann verlasst euch bitte nicht auf diesen Artikel, sondern sucht euch eine qualifizierte Beratung.
Was ist eigentlich Solidarität?
Fest steht jedenfalls, dass die Probleme der Menschen im Iran nicht im deutschen Asylsystem gelöst werden können. Nur die Menschen dort selbst können das Regime stürzen. Und dabei verdienen sie jede Solidarität, doch kommt es mir immer hohl vor, sowas zu schreiben, denn was bedeutet es schon, wenn ich von meiner Couch in Deutschland aus Menschen im Iran meine Solidarität bekunde. In Deutschland kann ich sogar Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts als Bullshit bezeichnen, und die schlimmste Konsequenz, mit der ich rechnen muss, sind nörgelige Kommentare bei Twitter. Die Menschen im Iran hingegen, die gegen das Regime auf die Straßen gegen, Frauen, die öffentlich ihr Kopftuch verbrennen, riskieren ernsthafte Konsequenzen für Leib und Leben. Das verdient größten Respekt.
Snowflake
Eine Kleinigkeit gibt es aber schon, die man tun kann, die vielleicht auch den Menschen im Iran hilft. Da der Internetzugang dort stark zensiert wird, mag es Menschen helfen können, etwas Bandbreite mit ihnen zu teilen. Dazu kann man sich beispielsweise die Browser-Erweiterung „Snowflake“ installieren, und so im besten Falle Menschen im Iran zu einem unzensierten Zugang zum Internet verhelfen.